Archiv für den Monat: August 2023

2023 – neu: 11. Eine Annäherung von Aspekten der Sinntheorie Frankls an die Integrale Theorie Wilbers

Zum Mensch-sein gehört wesentlich das Geistige dazu. Für Viktor Frankl war es stets ein Anliegen, dieses ontologische Vorausgehen des Geistigen vor dem Willentlichen hervorzuheben. Das Geistige ist je in der Welt und dieses Geistige ist offen für die menschliche Transzendenz. Ohne, dass sich ein Mensch transzendiert, verfehlt er das Geistige und bleibt verhaftet im Psychischen. Das jedoch strebt der Mensch nicht an, vielmehr ist der Mensch ein sinnstrebiges Wesen, er strebt nach Sinn, den die Welt für ihn bereithält.

Ist doch der Mensch eben immer auch ein psychophysisches Wesen und damit in der Immanenz dieser seiner Bedingtheiten eingebunden, so ist er doch ebenso stets gefordert, sich von diesen Bedingtheiten nicht alles gefallen zu lassen. Ich lasse es mir von meinem Selbst nicht gefallen, die Türen verschlossen zu halten, die mir den Möglichkeitsraum zum Sinn eröffnen, meint, sich selbst – zumindest ein gutes Stück weit – zu vergessen. Selbstvergessenheit ermöglicht somit die Weltoffenheit und den Eintritt in einen Raum, der Sinn bereithält. Dieser Sinnraum kann unterschiedlich etikettiert werden. Entweder findet ein Mensch in diesem Raum den für ihn stimmigen Gott, eine metaphysische Dimension der Wirklichkeit, an der jeder Mensch für Frankl a priori seinen Anteil hat. Oder er findet in diesem Raum eine Person, die nicht er selbst ist oder eine Aufgabe, die er nicht selbst entworfen hat und der er sich mit Liebe und auch unter Verzicht psychischer Begehrlichkeiten, Lustbarkeiten oder Ablenkungen hingibt. Oder er zeigt im Kontext der Unabänderlichkeit einer existenziell bedeutsamen Situation eine Lebenseinstellung, die trotz aller gegebenen Widrigkeiten seine unerschütterliche Transzendenzfähigkeit offenlegt. In meinem Buch ‚Coaching des Todes‚ habe ich die in diesem Kontext von Frankl bereits herausgearbeiteten Lebensthemen ‚Leid‘, ‚Schuld‘ und ‚Tod‘ um weitere, ich nenne sie ‚existenzielle Abschiede‚, ergänzt.

Behält das Psychische gerade dann die Oberhand, wenn es möglich und notwendig wäre, quasi einen Fuß in die Tür des hellen Sinnraums zu stellen und lässt sich der Mensch, um in der Metapher zu bleiben, dann doch von seinem Selbst alles gefallen, so verhält und handelt er für sich selbst mittels seines psychischen Ego-Ichs. Überwindet er dieses Ego jedoch aus besseren Gründen, so tritt sein geistiges Ich in die Welt [ebendieses geistige Ich überstrahlt – so mein Verständnis – insbesondere im Moment eines existenziellen Abschieds das Ego und hinterlässt in der Welt eine Sinnspur der Person].

Nun darf die von Frankl jedem Menschen per se zugeschriebene Transzendenzfähigkeit und damit die Ermöglichung eines Handelns und Verhaltens des geistigen Ich nicht derart überdehnt verstanden werden, dass das psychische Ego-Ich als ‚finster, böse oder schlecht‘ zurückbleibt. Im Gegenteil, die Psyche – so mein Verständnis – ist auch eine ehrenwerte Instanz, wenn der Mensch dank seines genetischen Erbes, dank seiner Umwelt und kraft seiner Triebe zu etwas Wichtigem Stellung bezieht [vgl. Frankl, V.E.: Der leidende Mensch. Bern 1998, S. 149). So liegt es mir persönlich fern, zum Beispiel einen Teil meines Wertesystems in Frage zu stellen, den ich als positive Übertragung im Kontext elterlicher oder schulischer Erziehung werte und dafür meinen Eltern danke. Oder einen Teil meines Verhaltens abzuqualifizieren, den ich als Reaktion auf belastende Lebenserlebnisse ausformte. Oder die Triebe zu diskreditieren, die mich zuweilen drängen, die Dinge zu tun, die mir aus gegenwärtiger Sicht guttun. Da aber, wo eine existenzielle Einladung zu einer gewissenhaften Entscheidung im Raum stand und eben nicht das in den Vordergrund gerückt wurde, was der Sprache der Psyche entsprochen hätte, war das Staunen und die VerWUNDERung über einen eigenen neuen eingeschlagenen Weg durchaus gegeben. Aus diesen Erfahrungen heraus steht für mich persönlich außer Frage, dass das Geistige (der Raum, in den menschliche Transzendenz hineinwirkt) und das Gehirngeistige dimensional unterschiedlich sind. Das Gehirngeistige stellt für mich den neuronalen Raum dar, in dem

  • zum einen empfunden, gefühlt, gedacht und intuitiv gehandelt wird (diese vier Systeme und ihre situativ stets neue interaktive Konstellation werden zum Beispiel von Prof. Julius Kuhl in seiner Persönlichkeitstheorie als das ‚Spielfeld‘ der Psyche betrachtet) und
  • zum anderen aber auch vollzogen wird, alle Selbstanteile für den wesentlichen Moment einer existenziellen Einladung zu vergessen, sich vielmehr ’nur‘ zu inspirieren (in-spirare = einhauchen; spiritus = das Geistige] von dem, was sich da als Sinnimpuls von außen offenbart, um dann – bildlich gesprochen – wieder den Verstand, das Mentale einzuschalten, um sich kraft alles Psychischen auf das ‚Begeisterte‘ zu transzendieren und sich ihm hinzugeben).

Das, was das Gehirngeistige sprachlich-landläufig als ‚Sinn‘ begreift und ‚fassen‘ kann, ist letztlich – und das ist nicht gerade wenig – das, was das Ego-Ich in einer Situation als Sinn erdenkt, erfindet oder macht. Mit diesem Begriff des ‚gehirngemachten subjektiven Sinns‘ verbinde ich die Kraft der Psyche, mich über den Tag zu retten, mich mit Selbstbeschäftigung vom Gefühl der Selbstverdrossenheit loszueisen, mir mit Selbstaufopferung, Selbstbefriedigung oder Selbstoptimierung das Gefühl der Selbstverwirklichung einzureden. All das gehört zum Mensch-sein dazu und solange die damit verbundenen Verhaltens- und Handlungsweisen mit ihren Denk- und Fühlweisen weder selbst- noch fremdschädigend wirken, erfüllt die Psyche ihren guten ZWECK.

Das, was all diese Zwecke jedoch dimensional überspannt, kann das geistige Ich erspüren. Dieses Ich geht bildlich gesprochen auf die Spur des im Moment seines Aufscheinens unbegreifbare, unfassbare Objektive. Mit diesem Begriff des ‚objektiven Sinns‘ verbinde ich die Kraft des Geistigen, mir die Möglichkeit einer Weltbeschäftigung vorzuhalten mit der ihr innewohnenden Inspiration – wenn nicht von mir von wem denn sonst – hineinzuwirken in das, was nicht würde, bliebe ich ‚Gefangener meines Selbst‚. Mit seiner Fähigkeit zur Transzendenz kann sich ein Mensch den Weg zum Person-sein ebnen und über diesen dem befriedigenden, psychisch (hoffentlich) gut gemachten Sinn die Verwirklichung eines geistig erfüllenden Sinns zur Seite stellen.

Wie kann diese sinntheoretische Perspektive nun mit dem integralen Gedankengut von Ken Wilber verwoben werden? Erinnern wir dazu, dass das zentrale Axiom der Theorie Wilbers besagt, dass Entwicklung prinzipiell dem Prozess von „transzendieren und einschließen“ unterliegt. Die Themen und Schemata [in Form von Werten, Verhalten, Fähigkeiten, Kapazitäten usw.] einer Ebene werden zum einen von der nächst höheren Ebene [und damit weitergedacht von allen höheren Ebenen] eingeschlossen und bei neu auftauchenden Themen durch Transzendenz in neue Schemata weiterentwickelt. Eine Entwicklungsebene [die wir bei einer konkreten Arbeit zum Beispiel in der Therapie, in der Beratung oder im Coaching anschauen] wird dabei im Kontext einer Entwicklungslinie und diese wiederum in einem der vier Wilberschen Quadranten betrachtet [siehe hierzu die von mir im Beitrag 1 dieser Reihe empfohlene Videoreihe zu den einzelnen Aspekten der Integralen Theorie].

Mit den Werteebenen von Clare Graves, die Einzug gehalten haben in verschiedenen Veröffentlichungen unter dem Stichwort ‚Spiral Dynamics‚ werden dauerhaft entwickelte Merkmale von Individuen oder Systemen beschrieben. Neben der Klassifizierung von Graves finden sich in der Literatur weitere wie zum Beispiel Jean Gebsers Modell der fünf Strukturen des Bewusstseins, die Ebenen der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow, die Stufenmodelle der Persönlichkeits- oder Bewusstseinsentwicklung nach Erikson, Loevinger, Cook-Greuter u.v.a.m.

Allen Modellen schreibt Wilber zu: ‚everybody is right‘, die Auswahl einer groberen oder feineren Ausdifferenzierung des jeweiligen Modells orientiere sich letztlich an der zugrundeliegenden Forschungsfrage, bei aller Trennschärfe wäre jedoch nicht zu übersehen, dass jedes Modell ein Teil [ein Holon] eines darüber stehenden Ganzen sei. In seinem Hauptwerk Eros, Kosmos, Logos stellt Wilber die sogenannte Holarchie dar. Jedes Holon ist dabei zuerst ein Ganzes, es wird dann gegebenenfalls auf das nächst höhere Holon transzendiert und dort als Sub-Holon eingeschlossen. Eine bekannte Holarchie ist die Sequenz Atom – Molekül – Zelle – Organismus.

Als eine weitere Holarchie kann das Modell der Werte-Meme von Graves angeschaut werden. Es soll hier im Zusammenhang [auch als Wiederholung zu einem früheren Beitrag in dieser Reihe], insbesondere aber in seinen jeweiligen Übergängen von der einen zur nächsten Ebene betrachtet werden.

=> Beige: Das Meme der Horde mit dem Streben des Einzelnen nach Überleben. Nahrung, Wasser, Wärme, Sex und Sicherheit haben Vorrang. Gewohnheiten und Instinkte werden zum bloßen Überleben eingesetzt. Eine Ich-Identität ist in diesem Meme noch nicht – oder aufgrund einer extremen Krisenbelastung nicht mehr – auszumachen. Der Umgang mit den Gegebenheiten erscheint primitiv, vegetierend, animalistisch, archaisch.
Die Gabe des Meme: Überlebenswille
Das Risiko des Meme: Untergang

Übergang von Beige zu Purpur: Bei sich massiv selbst- oder andere gefährdenden Verhaltens- und Handlungsweisen bewirkt das Ergreifen einer schützenden Hand die Re-Integration in eine soziale Hilfsgemeinschaft.

=> Purpur: Das Meme der Gruppe, der Ahnen, der Familie, der Sippe.
Das Meme sucht Geborgenheit und Sicherheit [z.B. durch starke Familienbindungen, Riten, Naturbezogenheit]; das Denken ist animistisch, schamanistisch und mythisch; die Gruppe sorgt sich um ihr Überleben und Wohlbefinden; wichtig sind Geschlechterrolle, Sexualität und Verwandtschaft; ethnisch homogene Gruppen; hohe Loyalität gegenüber den ‚Ältesten und Senioren’ und der ‚Sippe’. Das Individuum ist der Gruppe untergeordnet.

Purpur ist ein sog. ‚WIR’-Mem, es findet sich in ‚verschworenen Gemeinschaften’, da wo ‚Blut dicker als Wasser’ ist, in Seilschaften, auch im Kindergarten.
Die Gaben des Meme: Sensibilität, Solidarität, Opferbereitschaft
Die Risiken des Meme: Unterwürfigkeit, Aberglaube, blinder Gehorsam

Rückschau von Purpur zu Beige: Hat Purpur seine Geborgenheitsausrichtung reguliert und berücksichtigt es die guten Kräfte von Beige [EINBEZIEHEN], so entsteht eine günstige Symbiose aus Lebenswillen und Gruppenenergie.

Übergang von Purpur zu Rot: Menschen machen die Erfahrung, dass sich auch die Seniorität irren kann, nicht alles weiß und kann. Verfügt ein Individuum in diesem Kontext über besondere Stärken und Kompetenzen, setzt es sie entweder egozentriert zur eigenen Positionierung in der Gruppe oder zum Schutz der Gruppe [TRANSZENDIEREN] ein und  steigt damit in die Macht auf.

=> Rot: Das Mem der Macht, der Impulsivität, des Kampfes strebt nach Ehre, Respekt, Herrschaft und Ansehen; es vermeidet es, von anderen gedemütigt oder gezwungen zu werden; das Denken ist gegenwartsbezogen, konkret, ego-zentriert. Im roten Meme interessiert sich das Individuum nicht für mögliche Konsequenzen, sondern nur für das Handeln; es vertraut sich voll und ganz; das Individuum ist der Gruppe übergeordnet.

Rot ist ein sog. ‚ICH’-Mem, es findet sich bei Kindern im rebellischen Trotzalter, bei heldenhaften Machern, im Milieu der Gewalt, Systemen mit autokratischen Führern.

Die Gaben des Meme: Selbstvertrauen, Kraft und Charisma
Die Risiken des Meme: Egoismus, Hochmut und Gewaltsamkeit

Rückschau von Rot zu Purpur: Hat Rot seine Dominanz reguliert und berücksichtigt es die guten Kräfte von Purpur [EINBEZIEHEN], so entsteht eine günstige Symbiose aus Autorität und Akzeptanz.

Übergang von Rot zu Blau: Bei zu stark und herrisch gewordenen Individuen gilt es zum Erhalt des Gemeinwesens, deren Willkür zu begrenzen. Dazu dienen Initiativen von Menschen [TRANSZENDIEREN], der Macht starker Einzelner adäquate Eindämmungsstrukturen mittels weltlicher oder religiöser Ordnungssystemen entgegenzustellen.

=> Blau: Das Meme der Ordnung, der Wahrheit, der Rechte strebt nach Regeln und Stabilität; achtet auf Gerechtigkeit und Gewissenhaftigkeit. Das Denken ist konservativ, ‚prinzipiell’, statusorientiert. Blau steht ein für das, was ‚gut’ und ‚richtig’ ist, es hält sich an Gesetze, Regeln,
Hierarchien und verhält sich diszipliniert; Komplexität und Veränderung werden mit Ordnungssystemen adressiert.

Das Individuum im blauen Meme zeigt Loyalität für die Themen, die es zu seinen macht, auch zu Bereichen des Glaubens, der Tradition oder zur Organisation. Die Organisation ist dem Einzelnen übergeordnet. Blau ist ein ‚WIR’-Mem, seine Ausrichtung auf Regeln findet sich zum Beispiel in Form von Bürokratien, Patriarchaten, Kadern, Pfadfindergemeinschaften, aber auch in totalitären Systemen, in Organisationen mit spezifischen Kodizes, in der Grundschule.

Die Gaben des Meme: Geduld, Loyalität, Klarheit
Die Risiken des Meme: Starrheit, Ideologie, Fundamentalismus, Zwanghaftigkeit

Rückschau von Blau zu Rot: Hat Blau seine ‚Regelkunst’ unter Kontrolle und zieht es die guten Kräfte des Rot mit ein, so entsteht eine günstige Symbiose aus Strukturqualität und Leitungsmacht.

Übergang von Blau zu Orange: Alle Meme bis hin zu Blau gelten als ethnozentrisch und konventionell. Orange transzendiert nun all die bisherigen Gegenwarts-Bewusstheiten in Richtung einer weltzentrischen und postkonventionellen Ausrichtung. 

=> Orange: Das Meme der Leistung, des Erfolgs, es strebt nach Freiheit, Selbstständigkeit und Erfahrung. Es will gut und materiell wohlhabend leben; es achtet auf Fortschrittsoptionen und mag den Wettbewerb, die Wissenschaft, das neue Lernen. Es will Karriere machen, Anerkennung erhalten und die eigenen Chancen nutzen; das Denken ist hypothetisch-deduktiv, objektiv, wissenschaftlich. Das Individuum vertraut in Orange auf sein Wissen und die eigenen Fähigkeiten; es bedient sich aller Ressourcen, um den Erfolg zu sichern; informiert sich kontinuierlich, um ‚up to date’ zu sein. Die Individualität ist der Organisation übergeordnet.

=> Orange ist ein ‚ICH’-Mem, es findet sich im freien Unternehmertum, in Wissenschaft, Börse, höheren Schulen und in körperschaftlich organisierten Institutionen.

Die Gaben des Meme: Selbstbewusstsein, Optimismus, Planungsstärke, Zielstrebigkeit
Die Risiken des Meme: Manipulation der Ressourcen, Fortschrittshörigkeit, Solidaritätsverlust, Materialismus

Rückschau von Orange zu Blau: Hat Orange seine individualistische Freiheit gekoppelt mit den guten Kräften des Blau, so entsteht eine günstige Symbiose aus Innovation und Bewahrung.

Übergang von Orange zu Grün: Wird die Leistungs- und Wettbewerbsorientierung überdehnt, zeigt sich mit Grün ein Korrektiv, das auf die Verantwortung für das Große und Ganze im weltzentrischen Verständnis verweist. Dazu dienen auch Initiativen, die es den Menschen ermöglichen, den Anschluss an die Wissens- und Erfahrungsfelder unter Wahrung ihrer individuellen Kraft und Würde gestalten zu können.

=> Grün: Das Meme der Harmonie, der Kooperation, der Akzeptanz strebt nach gesellschaftlicher Entwicklung, Teilhabe, Wertegemeinschaften; erforscht das eigene Innere im Kontext der Empathie mit anderen. Es schätzt Beziehungen und Wissenstransfer; betont den Willen zur Konsensbildung; atmosphärische Intelligenz, Gespür und friedvolle Weltoffenheit sind wichtig. Statt Stärken-Schwächen-Polarität gilt die Vision des vielfältigen Menschen; das Denken ist pluralistisch, vernetzt, nichtlinear, sozial und auf gemeinsames Handeln ausgerichtet. Das Menschenbezogene ist dem Individuellen übergeordnet.

Grün ist ein ‚WIR’-Meme, es findet sich in Konzepten des Unternehmensbürgertums, in Netzwerken mit Nachhaltigkeitsanspruch, in Menschenrechtsbewegungen, in multiperspektivischen hierarchiefreien Hochleistungsteams.

Die Gaben des Meme: Sensibilität, Lebensorientierung, Weltoffenheit, Wertschätzung, Integration
Die Risiken des Meme: Entscheidungsunfähigkeit, ideologische Anti-Ideologie, Naivität, Ziellosigkeit

Rückschau von Grün zu Orange: Hat Grün seine ‚Klagen über die Welt’ im Griff und gekoppelt mit den guten Kräften des Orange, so entsteht eine günstige Symbiose aus Klugheit und Innovationsfreude.

Übergang von Grün zu Gelb: Wird die Begeisterung für Multiperspektivität und soziale Gleichheit überdehnt, zeigt sich mit Gelb eine Bewusstheit höherer Ordnung, der es gelingt, das angestrengte ‚Für-etwas-Korrektiv-sein-Müssen’ zugunsten einer leichtgängigen Handhabung von Komplexität zu wandeln.

=> Gelb: Das Meme des Lernens, des Systemischen, des Geistigen fokussiert auf breite Funktionalität, profunde Kompetenz, weitreichende Flexibilität, lebendiges Wachstum. Es ist in der Lage, mit Ambivalenzen umzugehen und weiß um die Permanenz der Veränderung; lernt beständig, selbstgesteuert und aus allen Quellen; vermag Freiheit und Verantwortlichkeit so zu leben, dass das Eigene ohne Schädigung des Anderen vollzogen wird; es besitzt ein liebevolles Menschen- und ein realistisches Weltbild; das Denken ist systemisch, perspektivisch und erzeugt systemische Fragestellungen; das Geistige [spezifisch Menschliche] ist dem Psychophysischen übergeordnet.

Gelb ist ein ‚ICH’-Mem, integriert hierarchische und nichthierarchische Strukturen und verschiedenste Lern- und Arbeitsformen. Es nutzt die pragmatische Erkenntnis, dass ‚Systeme immer mithelfen’; orientiert sich an dem, was naheliegend und notwendig ist; befähigt zu mehr Verantwortungsübernahme. Gelb findet sich in hochentwickelten Netzwerken, Projekten mit einem Höchstmaß an Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit, temporären Organisationsformen, in Sinnsystemen.

Die Gaben des Meme: Kreativität, Autonomie, Multiperspektivität, Perspektivenwechsel
Die Risiken des Meme: Arroganz, Unnahbarkeit

Rückschau von Gelb zu Grün: Hat Gelb seine Fähigkeit zur Vernetzung gekoppelt mit den guten Kräften des Grün, so entsteht eine günstige Symbiose aus Wissensgesellschaft und Wertegemeinschaft.

Übergang von Gelb zu Türkis: Wird die Vernetzungsorientierung und das systemische Denken überdehnt, so vermag Türkis die sich damit in Bewegung setzende Informationswelle auf das Globale, Wesentliche zu reduzieren.

=> Türkis: Das Meme des Ganzheitlichen, des Holon richtet sich an einer globalen Ordnung aus, die befreit ist von menschlich gesetzten Regeln. Es vereint die geistige Dimension mit mentalen Fähigkeiten und konzentriert sich auf das Wohl aller lebenden Wesen und aller natürlichen Systeme. Das türkise Meme sieht das Universum als ein ästhetisches-elegantes-ausgewogenes-wissendes-verwobenes Feld; das Denken ist holistisch-global, evolutionär und intuitiv. Es fokussiert auf das globale Überleben, nicht auf das Überleben des Einzelnen oder einer speziellen sozialen Entität. Türkis findet sich in der Zusammenarbeit von Menschen, die sich mit Aspekten der über die aktuelle Menschheitsgeneration weit hinausgehenden Fragestellungen befassen und einen Spiritual-Think-Tank begründen.

Wenn nun Menschen wie Du und Ich mit je unterschiedlichen Bewusstheiten [Meme = Thema + Schema] über ein Thema sprechen oder an ihm arbeiten, dann besteht stets die Gefahr, dass eine ‚höher‘ entwickelte Werteebene die ’niedrigere‘ abwertet. Diese Abwertung kann dabei inhaltlich unangemessen sein, wenn nämlich die ’niedrigere‘ Bewusstheit als Schema geeigneter wäre für den Umgang mit dem Thema.
Andererseits neigt zuweilen die niedrigere Werteebene dazu, die höhere anzugreifen, im Sinne eines ‚abgehoben, unnahbar, arrogant …‘. Zuschreibungen dieser Art kennen alle Menschen. Sollte aber die höher entwickelte Bewusstheit zwar angemessener sein für den Umgang mit dem Thema, setzt sich aber die niedrigere aus welchen Gründen auch immer durch, so wird eine bestmögliche Entwicklung des Themas behindert, die Entwicklung stockt oder die Nicht-Entwicklung führt bis hin zum Tod des Systems, in dem die Entwicklung zwingend gewesen wäre.

Beispiel: Zwei Menschen befinden sich in einer Ausbildung. Der eine will im Netzwerk mit anderen Menschen das neue Wissen in verschiedenen Zusammenhängen ausprobieren [Gelb]. Der andere will sich fokussieren auf inhaltlich korrektes Erlernen der Details und strebt nach Ordnung im didaktischen Ablauf [Blau]. In der integralen Sichtweise hat das Gelbe Meme das Blaue integriert, Gelb nutzt die Ordnungsfähigkeit des Blau nun jedoch womöglich in anderer Weise als der Mensch mit dem Blauen Meme es tut. Ein Konflikt ergäbe sich nun, wenn Gelb das Blau als ‚rückschrittig, altmodisch, kleingeistig …‘ abwerten würde. Oder wenn Blau das Gelb auf der anderen Seite als ‚zu wenig tiefgängig, unberechenbar oder unstrukturiert‘ etikettieren und angreifen würde.

Oder:
Orange will gerne besser sein als die anderen und stellt eigene Ziele über das soziale Wohl. [Stichworte: Turbokapitalismus, Verdrängungswettbewerb, Strebertum …]
Grün möchte das Soziale in seiner Bedeutung hervorheben und fördert die Gleichheit in vielen Lebensbereichen. [Stichworte: Equal Payment, Quote, Inklusion, CSR …]

Oder:
Rot will den persönlichen Triumpf als Sieger. [Stichworte: Einzelkämpfer, Weltherrschaft, Ellenbogenmentalität …]
Blau möchte Konflikte und Kampf vermeiden, indem Beziehungen formal definiert werden. [Stichworte: Verfassung, Code of Conduct, Stellvertreterregelungen …]

In der Lebenspraxis finden sich im privaten, beruflichen, gesellschaftspolitischen wie globalen Kontext zahllose Konflikte, die im Kern auf aufeinanderprallende Bewusstheiten hinweisen. Schaut man dazu in das von Wilber in seine Theorie integrierte Graves Modell der Werte-Meme und weiter auf die von Don Beck und Christopher Cowan [Autoren des Buches Spiral Dynamics] vorgenommene Kopplung dieses Modells mit dem Konzept der Meme des britischen Biologen Richard Dawkins so sieht man hier, dass ein Meme mittels Kommunikation von einer Generation an die nächste weitergereicht, dort reproduziert (einbezogen) und weitentwickelt (transzendiert) wird. Menschen passen so à la longue ihre Verhaltens- und Handlungsmuster, ihre Überzeugungen und Glaubenssätze an die Gegebenheiten der Gegenwart an und entwickeln so – analog der Entwicklung der Gene und der mit ihnen verbundenen biochemischen DNA – ihre psychologische DNA. Aus ihren Überlegungen formulierten Beck und Cowan einige zentrale Eigenschaften, über die Meme ihrer Ansicht nach verfügen:

  • Meme bringen die Bewusstheit zum Ausdruck, mit der menschliches Verhalten bestimmt wird.
  • Meme beeinflussen alle Lebensentscheidungen.
  • Meme können situativ verbessernd oder verschlechternd wirken, mithin passend oder unpassend für spezifische Kontexte sein.
  • Meme beschreiben menschliche Denkweisen.
  • Meme können sich unter veränderten Lebensbedingungen verstärken oder abschwächen.

Für Beck und Cowan stellen die Meme ‚Beige’ bis ‚Grün’ und die Meme ab ‚Gelb’ zwei qualitativ unterschiedliche Cluster dar. Im sogenannten ‚first level tier’ [Beige -> Grün] werden Denkweisen praktiziert, die die Bewältigung situativer Themen eines Menschen oder eines Kollektivs sichern helfen. Hier wirken die einzelnen Meme zwar jeweils aufeinander aufbauend, jedoch zumeist sich untereinander bewertend und grenzziehend. Die Meme ab ‚Gelb’ – das ‚second level tier’ – nehmen dagegen nicht nur einzelne Ebenen, sondern alle in den Blick.

Die Reise durch die Meme wird vergleichbar anschaulich, wenn man sich zuerst einen Menschen konstruiert, der an einem Ort nur das ihn unmittelbar Umgebende und seine basalen Grundbedürfnisse Befriedigende denkend erschaut, woraufhin sich dieser Mensch dann nach und nach quasi ‚erdnah‘ zuerst bis ‚Grün’ seinen Denkraum vergrößert, um schließlich mit ‚Gelb’ wie in einer Rakete sitzend vertikal erst die gelbe Metaebene, dann die türkise Globalebene usw. durchreist, dabei sich die Perspektive stetig weitet und die sich zu stellenden Fragen auf einen immer weiter reichenden Horizont verweisen. Dem ‚Second-Level-Denkenden’ ist bewusst, dass sein Denken ohne Integration und Würdigung aller ‚First-Level-Denkweisen’ lückenhaft bleibt – seine Denkhaltung überzeugt daher mit einem hohen Maß an Mehrdeutigkeitstoleranz, eigener Entwicklungs- und Reflexionsbereitschaft und Überblicksperspektive.

Das individuelle Meme-Set kann aus dieser Perspektive also verstanden werden als ein sich im Leben dynamisch entfaltendes Bündel an Denkformen, mit dem ein Mensch in einer aktuellen Situation ‚so oder so’ über den ihm vorliegenden Kontext denken kann und hierauf sein bewusstes Verhalten begründet.

Eine in einem Folgebeitrag zu thematisierende Frage wird sein, welchen Beitrag der Mensch ’selbst‘ leisten kann, um sein individuelles Meme-Set weiterzuentwickeln und in welcher Weise Sinnimpulse zu einer solchen Entwicklung inspirieren können?

Im Praxistransfer des beschriebenen Gedankenguts auf den in diesem Blog fokussierten Krisenkontext, stelle ich in meiner Rolle als psychotherapeutischer Begleiter immer wieder einen der folgenden Zugangswege zum ‚Bewusstheits-Diskurs’ mit Klienten fest:

  • Der Klient hat die Einsicht, dass er in Nutzung eines bestimmten Memes bislang versucht hat, seiner Krise Herr zu werden, und erkennt, dass ein anderes, ihm auch präsentes Meme womöglich angemessenere Denkweisen im Umgang mit der Situation ermöglichen würde.
  • Wie oben, das Meme, das dem Klienten dienlich wäre, steht ihm jedoch noch nicht zur Verfügung und ruft dazu auf, in einem Lernprozess entwickelt zu werden.
  • Der Klient ist ambivalent in der Nutzung ihm vergleichbar gut verfügbarer Meme und entwickelt so durch eine mentale Blockade im Krisenbewältigungsprozess eine Selbstunsicherheit.
    [Es ist zu beachten, dass die Koexistenz mehrerer ausgeprägter Meme im Krisenkontext nicht gleichgesetzt werden kann mit einem automatisch ‚besseren’ Weg der Situationsbewältigung. Vielmehr gilt es, stets das ‚passendste’ Meme-Set, die angemessene Bewusstheit, zu entwickeln.]

In meiner Rolle als Therapeut, Berater oder Coach führe ich das Modell der ‚Werte-Meme’ als Navigationssystem ein und biete dem Klienten zu den einzelnen Meme passende Interventionen an. Wenn – wie Beck und Cohan postulieren – Meme als Denkstrukturen verstanden werden können, dann lässt sich mit diesem Modell erarbeiten, wie ein Klient einerseits über seine Krise und andererseits über seine Vorstellung eines Weges aus der Krise denkt. Dabei stelle ich zumeist fest, dass der Klient beide ‚Denkaufgaben’ im selben und im für ihn stärksten Meme angeht.

Wie zum Beispiel Karin H., die als Abteilungsleiterin eines Großunternehmens berichtet: „Meine Situation ist eskaliert als es in unserem Unternehmen jüngst vier MItarbeiterversammlungen gab, die sich im Nachhinein als kaskadisch inszenierte Veranstaltungen entpuppten, von denen in der ersten Gruppe die Mitarbeiter über anstehende Veränderungen informiert und sie für ihre bisherigen Leistungen anerkannt und mit pompösem Tamtam motiviert wurden, in der zweiten Gruppe die Mitarbeiter auch die Informationen über die anstehenden Neuerungen erhielten, sie aber dabei die Botschaft erhielten, von ihnen würde künftig noch mehr Leistung erwartet werden. In der dritten Gruppe wurden die anstehenden Veränderungen mit einem Unterton geschildert, der nahelegte, sich als Mitarbeiter den Verbleib in unserem Unternehmen genau zu überlegen und die vierte Gruppe wurde als letzte darüber in Kenntnis gesetzt, dass man mit ihnen aufgrund der Situation zeitnah Gespräche zum Ausscheiden aus dem Unternehmen zu führen gedenke.

Da jeder Mitarbeiter durch die Einladungen wusste, wer in welcher Versammlung war, und es erst durch dieses Vorgehen für Mitarbeiter offenkundig wurde, welche Vorgesetzten – und manchmal auch der eigene – auf die Abschussliste gesetzt wurden und umgekehrt, war nach dieser Vorstandsaktion natürlich Katastrophenstimmung angesagt. Meine persönliche Verzweiflung ist nun, dass ich dieses Vorgehen als zutiefst respektlos und ungehörig empfinde, zumal ich und einige meiner Mitarbeiter in die dritte Gruppe sortiert wurden.

Ich bin seit 22 Jahren im Unternehmen beschäftigt, führe seit vier Jahren gut 20 Mitarbeiter, habe in den vergangenen Jahren stets die vereinbarten Ziele erfüllt oder übererfüllt und kann auf eine stattliche Reihe erfolgreicher Projekte zurückblicken. Mein Verhältnis zu meinem unmittelbaren Vorgesetzten ist gut, jedoch hat sich die – zum Teil mit ehemaligen Offizieren der Bundeswehr – neu besetzte Vorstandsebene aus meiner Sicht von Anbeginn ihrer Zusammenarbeit nur das Ziel gesetzt, einen harten Cut zu machen und Personal freizusetzen.

Das fing vor zwei Jahren schon an, als verschiedene Projekte ausgeblutet und mehrere interne Abteilungen ausgegliedert wurden. Da ging damals schon einiges nicht mit rechten Dingen zu, wenn ich erinnere, mit welchen Argumenten uns die Anpassungen vermittelt wurden. Erst hieß es, das Unternehmen hätte ein größeres Auslandsinvestment in Aussicht und wolle deshalb Prozesse und damit auch Personen neu bündeln und würde daher nun einige Projekte beauftragen, in denen die Konzepte für eine neue Struktur entwickelt würden. Dann wurde aber nach kurzer Zeit mitgeteilt, dass die Unternehmensleitung sich entschlossen habe, im Ausland mehrere Shared Service Center aufzubauen. Alles wurde als Dringlichkeitsszenario dargestellt – nur, wenn die Strukturen verändert würden, könnte man im Ausland erfolgreich operieren.

Hinterher sickerte durch, dass man das Service-Konzept bereits bei den Verhandlungen mit den Partnern im Ausland im Gesamtpaket eingebunden hatte. Diese Unaufrichtigkeit und das Spielen mit den Menschen werden für mich immer unerträglicher. Als Nachwuchskraft habe ich solche Handlungsweisen vermutlich früher gar nicht wahrgenommen oder als für mich relevant angesehen. Mit zunehmender Führungsverantwortung wurde mein Einblick in die Entscheidungsprozesse und den Stellenwert, den Menschen in unserem Unternehmen für einen Teil des Topmanagements haben, bewusster. Ich habe, so gut es ging, meinen Mitarbeitern gegenüber mit Achtsamkeit und Gewissenhaftigkeit in Gesprächen und Entscheidungen gegengewirkt und in den letzten Jahren eine auch von anderer Seite beachtete Teamkultur entwickelt. Wir haben uns gut eingespielt und immer komplexere Aufgaben gewuchtet, haben uns eine innere Ordnung gegeben, weil die Unternehmenswerte für uns zu schwammig waren, und ich denke, mit meiner eigenen Disziplin und Klarheit habe ich den Mitarbeitern die Sicherheit gegeben, die sie für ihre Lebensplanung brauchen.

Das alles soll nun nichts mehr wert sein. Für mich bedeutet die Situation, dass ich alle rechtlichen Schritte einleiten werde, um nicht unter die Räder zu kommen. Natürlich habe ich meinen Vorgesetzten auch befragt, wie er Form und Inhalt dieser demütigenden Aktion einschätzt, und er erklärte mir, dass die Organisation alle Funktionen ohne Ansehen der Personen auf ihren kurzfristigen Beitrag zum Turnaround geprüft hätte. Dabei wäre auch in Kauf genommen worden, dass Mitarbeiter, die persönlich keinen Anlass zur Kritik böten, nun von der neuen Ausrichtung der Firma betroffen seien. Dass ich dazu gehöre, würde er bedauern, und ich solle das ‚Angebot zum Nachdenken’ doch ‚konstruktiv’ aufgreifen.

Ich bin sehr besorgt, denn ich bin alleinstehend, mein Sohn sitzt seit einem Motorradunfall vor eineinhalb Jahren im Rollstuhl, meine Mutter braucht tägliche Pflegedienstunterstützung nach ihrem Schlaganfall, den sie vor einem Jahr erlitten hat. Ich habe hier sehr viel mit Behörden und Krankenkassen zu regeln, und mir unter diesen Bedingungen mit 49 Jahren eine neue Führungsaufgabe zu suchen, möchte ich nicht. Mir bereitet meine derzeitige Arbeit keine Mühe, ich bringe gerne volle Leistung, aber ich erwarte einen fairen Umgang und angemessene Regelungen – nicht so ein ‚von oben herab’. Was ich mir zur Entlastung der Situation überlegt habe? Sehr schmerzlich wäre es für mich, meine Mutter dauerhaft in einem Pflegeheim unterzubringen, bisher kann ich ja einige Stunden mit ihr verbringen. Die finanzielle Unterstützung, die ich meinem Sohn gebe, damit er sich seine rollstuhlgerechte Wohnung noch besser für sich einrichten kann, müsste ich auch strecken. Ach, es sind an sich viele Sachen, die neu organisiert werden müssten und die manche Nächte schlaflos werden lassen …“

Schauen wir bei dieser Schilderung auf die mit ihr zum Ausdruck gebrachte Bewusstheit der Klientin, so finden sich eine Reihe von Merkmalen des ‚Ordnungs’-Memes. Mit einer solchen zentralen Bewusstheit strebt der Mensch nach Struktur, Wahrheit, Recht, nach Regeln und Stabilität. Das Denken wird durch Prinzipien und Status geprägt, als Bewertungsmaßstäbe werden ‚gut’, ‚schlecht’, ‚falsch’ und ‚richtig’ herangezogen. Menschen, die aus diesem Meme heraus denken und handeln, zeigen sich diszipliniert, loyal und traditionell. Wird nach möglichen Bewältigungsformen gesucht, so stehen ‚Anwälte, die für Recht sorgen’, ‚Delegation von Themen an vertraute Personen’, ‚Aufbau von Konfrontationslinien, um bei anderen Menschen zu einer ehrlichen Aussage vorzudringen’, ‚Beharren auf betrieblichen Vereinbarungen’, … an erster Stelle.

Die Denkweisen der Klientin im Kontext ihres Anliegens waren – so sollte es sich im Verlauf der weiteren Arbeit beim Betrachten ihres Wertesystems, ihrer Grundeinstellungen in Krisen sowie durch ein Gespräch über sie potenziell verletzende Verhaltensweisen anderer Menschen zeigen – in dieser Gewichtung in % verteilt:

türkis: 0
gelb: 5
grün: 5
orange: 25
blau: 35
rot: 5
purpur: 25
beige: 0

In der Tat interpretiert diese Klientin ihren problematischen Anliegenkontext auf derselben Bewusstheitsebene, auf der sie auch nach Lösungen für ihr Problem sucht. Erscheint ein Problem als ‚kompliziert’ und liegen einem Menschen Erfahrungen im Umgang mit Situationen dieses ‚Schweregrades’ vor, so mag dieses Vorgehen hinreichend zufriedenstellende Lösungen bewirken. Erhält die Situation jedoch durch Komplexität und Dynamik eine individuell empfundene Unbeherrschbarkeit, Brisanz und Lösungsdringlichkeit, dann hat nach meiner Einschätzung die Erkenntnis ihre Berechtigung, dass „der Kern des systemischen Denkens die Einsicht ist, dass wir uns verabschieden müssen vom linearen Denken” [Paul Watzlawick] und sich Lösungen für Probleme nicht im Raum ihres Entstehens finden lassen. Für den Krisenkontext folgen hieraus meine Thesen:

  • Die Bewältigung einer Krise findet in einem anderen Bewusstheitsfeld statt als ihre Entstehung.
  • Verfügen Menschen nicht über die für die Krisenbewältigung passende Bewusstheit, so eskaliert die Situation.

Für Karin H. bedeutete dies, das sie blockierende Werte-Meme zu identifizieren und Aspekte eines anderen oder zusätzlichen Memes in Erwägung zu ziehen, auch wenn dies einen umfassenderen Lernprozess erfordern sollte:

Karin H.: „… nun, ich hoffe, dass ein Zustand eintritt, der es mir weiterhin erlaubt, mich um meine Familie zu kümmern. Das ist mir allemal wichtiger als irgendein beruflicher Aufstieg, denn weiterführende Karriereambitionen hatte ich glücklicherweise ohnehin nie. Mit meiner Position und den mit ihr verbundenen Aufgaben bin ich vollauf im Reinen. In meiner privaten Situation wären solche Absichten nun für mich sicher die Grundlage größerer Unzufriedenheit geworden. Dann hoffe ich, dass meine Mitarbeiter – egal in welche Richtung ihre weitere Entwicklung gehen wird – auf anständige Weise Alternativen aufgezeigt bekommen und sie auch mit mir auf eine solche Weise umgehen. Und dann hoffe ich, dass ich als Folge eines solchen Zustands auch die Nähe zu meinen Freunden und Bekannten nicht einbüße, denn von dort bekomme ich schon heute sehr viel Kraft. An sich erhoffe ich mir einen Zustand, der mir nicht Energie raubt, so wie es in der letzten Zeit der Fall ist, und den ich ja durch Schlafstörungen auch schon körperlich merke …“

Das im Zusammenhang ‚Hoffnung’ von der Klientin besonders betonte Meme ist das der ‚Gruppe und Familie [purpur]’. Würde die Klientin reflektieren, dass ein Verharren im blauen Ordnungs-Meme ihre Lage im Unternehmen möglicherweise erschwert und ein Streben nach einer familienfreundlicheren Lösung im Kern ein gelingenderes Leben verspricht, wären hierauf aufbauende Interventionen sinnvoll [was nicht bedeutet, dass flankierende Maßnahmen – in diesem Beispiel aus dem Ordnungs-Meme – nicht zusätzlich zweckdienlich sein könnten]. Im konkreten Fall wurde Karin H. deutlich, dass ein ‚Pochen auf Gerechtigkeit’ zugunsten einer im Unternehmen für ihre familiäre Situation sensibilisierenden Kommunikation hintangestellt werden sollte, mit dem [Wunsch-]Ziel, mit ihren Vorgesetzten über die Bedingungen zu sprechen, die eine für beide Seiten passende und geräuscharme Veränderung ermöglichen. Parallel entschloss sie sich, einen Anwalt für Arbeitsrecht zeitnah und vorsorglich über die Vorkommnisse in Kenntnis zu setzen.

„Glück ist, was einem erspart bleibt“, meinte einst Viktor Frankl. Schaut man sich die Reflexionen der Klientin hinsichtlich des Themas Aufstiegsambitionen, des Erhalts der Freundschaften oder auch ihres Möglichkeitsraums bei der Versorgung von Mutter und Sohn an, so kann die Klientin leicht erkennen, dass es ihr ‚trotz allem‘, was sie im Unternehmen im Wertekontext Gerechtigkeit an Verletzung erfahren hat, gelingen kann, im ersten Schritt eine Einstellungsmodulation vorzunehmen, die die Werte aus dem Purpur-Meme in den Vordergrund rückt. Persönliche eskalierende Auseinandersetzungen in ‚blau‘ kann sie sich ‚ersparen‘ und diese freie Lebensenergie auch dafür einsetzen, eine Weiterentwicklung ihrer Werte-Ebenen vorzunehmen.

2023 – neu: 10. Präventionsarbeit mit den Werte-Meme

In meinem Buch ‚Krisencoaching‘ habe ich eine kleine Selbstreflexions-Übung vorgestellt, bei der man sich für jede Entwicklungsebene [Werte-Meme] mit ihren jeweiligen Hauptthemen wie beispielsweise das ÜBERSTEHEN (das Überlebens-Meme) in beige, oder das ÜBERRAGEN (das Macht-Meme) in rot usw. Fragen stellt, die die Ressourcen und Gefährdungspotenziale jeder Ebene skizzieren.

Stellt man sich nun Situationen vor, die die jeweilige Ebene adressieren, so kann man im nächsten Schritt überlegen, ob man präventiv ausreichend etwas dafür getan hat, damit der Umgang mit unabwendbaren Situationen erleichtert würde. Beispielhaft kann man sich für Situationen, die das Überlebensmeme beige tangieren, Präventionsmaßnahmen wie Versicherungen, medizinische Vorsorge (also Prävention im Kontext des blauen Meme für Ordnung, Sicherheit und Struktur) vorstellen. Im Organisationskontext könnte eine Firmeninsolvenz gegebenenfalls präventiv dadurch abgewendet werden, indem Interventionen im roten Meme zur Anwendung kommen. Sich solche Interventionen szenarisch zu erarbeiten ist unter anderem ein Thema im Krisenpräventionscoaching, das Unternehmer in Anspruch nehmen.

 

2023 – neu: 9. Krisenprävention mit den Werte-Meme

Heute ein kleines Beispiel für die Anwendung der Werte-Meme im Rahmen eines Krisenpräventionscoachings. Bei diesem Coaching wird der Klient angeregt, ein mögliches Krisenszenario auszuloten, das sich aus dem Zusammentreffen einer spezifischen Meme-Meme-Konstellation zwischen ihm selbst und einer oder mehreren Personen ergeben könnte, die von ihm als potenzielle [Mit-]Auslöser einer Krise angesehen werden.

Der Klient ist 53 Jahre alt, war bis vor einem Burnout, der ihn in eine stationäre psychiatrische Behandlung mit anschließender logotherapeutischer Begleitung zwang, Führungskraft in einem Hochtechnologieumfeld. Während seiner ‚Auszeit‘ wurde sein Bereich durch einen neuen Vorgesetzten deutlich umstrukturiert mit Auswirkungen auf einen stark begrenzten Funktionsbereich des Klienten. Diese Veränderungen wurden ihm von Mitarbeitern, nicht vom Vorgesetzten, mitgeteilt. Während der Klient einerseits eine Neuaufstellung des Bereiches inhaltlich grundsätzlich nachvollziehen kann, bestehen bei ihm erhebliche Sorgen hinsichtlich der eigenen beruflichen Zukunft nach seiner psychotherapeutischen Reha. Diese Sorgen richten sich deutlich auf die Verhaltensweisen des neuen Vorgesetzten, der in der Wahrnehmung des Klienten zahlreiche Merkmale eines Verhaltensmusters mehrheitlich im ‚roten und ergänzend im blauen Werte-Meme‘ aufweist [zu dieser Einschätzung kommt der Klient durch Einsatz einer von mir für jedes Meme zusammengestellten Begriffesammlung im Business-Kontext sowie des Tools Bewusstheit in Krisen und des Tools Einstellungswerte, das von mir zwar für das Thema der Reflexion existenzieller Abschiede entwickelt wurde, das sich aber auch in dieser Fragestellung des Klienten als hilfreiche Unterstützung erwies].

Seine eigenen stärksten Werte-Meme in der Berufsrolle sieht der Klient in den Werteebenen ‚blau und orange‘. Aus dieser Kombination von blau-orange (Klient) trifft rot-blau (Vorgesetzter) ergeben sich spezifische Werte-Konfliktfelder. Ich lege Beispiele dieser Kombinationen dem Klienten vor – eine alle Meme umfassende Werte-Konflikt-Matrix hatte ich für das Buch ‚Krisencoaching‘ bereits vor einigen Jahren zusammengestellt (siehe Abbildung weiter unten und hier als pdf zum leichteren Lesen).

Aus den vier Belastungsfeldern wählt der Klient aus seiner Sicht die am ehesten zutreffende – rot markiert – aus und adaptiert sie auf seine Situation. Damit ist der potenzielle Krisenkontext adressiert und kann aus einer Präventionsperspektive betrachtet werden.

 

Zentrale Fragen an den Klienten lauten nun: Welchen Zustand erhoffen Sie, wenn Sie der erwarteten Veränderung in Ihrem Berufsleben kraftvoll getrotzt haben werden? Und was hoffen Sie,  dann zu tun, was Sie nicht jetzt auch schon tun?

Der Zweck dieser Intervention besteht darin, zu erkunden, in welchem Meme der Klient den erhofften Zustand verankert. In vielen Coachings habe ich wahrgenommen, dass Klienten das zweitstärkste Werte-Meme ansprechen, also das stärkste verlassen, aus dem heraus die Umstände und Ursachen der potenziellen Krise ‚gedacht‘ werden.

Und auch dieser Klient steuert auf sein zweitstärkstes, hier ‚orange‘, Meme zu. Für ihn wird klar, dass die Machtposition des neuen Vorgesetzten offenbar so robust war, dass dieser die Veränderungen mühelos vorbereiten und exekutieren konnte. Zudem interpretiert er seine eigene gesundheitliche Lage nach der Reha als noch nicht stabil genug, um direkt mit der Reintegration in sein Arbeitsfeld ein an einigen Stellen plausibles Konfliktfeld mit dem Vorgesetzten aufzumachen. Hingegen fallen in sein zwar begrenztes Tätigkeitsfeld auch neue spezifische Aufgaben, auf die er sich inhaltlich durchaus freut. Sich dieser mit seinem Leistungsmeme anzunehmen und keine Energien für Auseinandersetzungen mit dem Vorgesetzten aufzuwenden, erscheint ihm zwar im ersten Moment paradox, ‚da man mich als durchaus streitbaren Zeitgenossen kennt‘. Auf den zweiten Blick erkennt er durch dieses Vorgehen aber auch zwei neue Möglichkeiten der Berufsweggestaltung. Die erste ist die private Inanspruchnahme einer Potenzialberatung, die ihm aufzeigen soll, in welchen alternativen Tätigkeiten in anderen Organisationen seine Primärkompetenzen zum Einsatz kommen können und für ihn offenstehen. Die zweite ist die Aufnahme eines Engagements in einem völlig neuen Themenfeld. Der Klient hatte in seiner Zeit in der Psychiatrie einige Gespräche mit Mitpatienten geführt, deren Lebenslage sich dadurch als extrem kritisch erwies, weil ihnen kein eigener Wohnraum mehr zur Verfügung stand. Diesen Umständen will er begegnen und ein bislang freistehendes Gebäude umgestalten und Menschen in der beschriebenen Wohnnot solange zur Verfügung stellen, bis diese ihre Lebenssituation wieder stabilisiert haben. Als Gegenleistung dafür werden die aufgenommenen Personen gebeten, ihr Wissen und einen Teil ihrer Zeit für weitere erforderliche Renovierungsarbeiten im Gebäude einzubringen. Der Gedanke an dieses private Projekt erfüllt ihn mit Energie und Einsatzwillen [vgl. hierzu die Stichworte: Selbstdistanzierung, schöpferische Werte, Selbstvergessenheit (Selbsttranszendenz) in den Texten zur Sinntheorie Viktor Frankls auf dieser Webseite].

Die Gesamt-Werte-Matrix  für den Einsatz im Krisenpräventionscoaching finden Sie – in besserer Lesequalität – im Buch Krisencoaching.

2023 – neu: 8. Werteebenen in konkreter Anwendung

Zu Beginn der Vorstellung der Meme-Ebenen habe ich angemerkt, dass kein Werte-Meme per se ‚besser‘ oder ’schlechter‘ ist als ein anderes. Vielmehr dient ein Meme als wertegestützte Form des Umgangs [Schema] mit einem Thema [z.B. Problemlösung, Beziehungsaufbau, Lernprozess, … im Mikrokosmos einer oder einer Gruppe von Personen bis hin zum Makrokosmos eines Gesellschaftssystems im Umgang mit ihren Themen wie z.B. Zukunft der Rente, Resilienz der Energiebeschaffungsinfrastruktur, Anpassung der Schwerpunkte schulischer Bildung im Kontext der KI, Sterbehilfe, Kinderarmut, Entschlackung der Bürokratie … bis hin zu einem Makro-Makrokosmos und einem Umgang mit Themen wie z.B. Vereinte Nationen von Europa, Geldwertstabilität im Euroraum, Einwanderung … bis hin zum globalen Kosmos mit Themen wie z.B. Klimaschutzabkommen, Weltfrieden, Getreidemittelversorgung, Schutz vor Kollisionen mit Objekten aus dem Weltall …]

Nun hat ein Psychotherapeut mit einer je anderen Meme-Konstellation im Kontext von Thema+Schema bei seinen Patienten zu tun, ein Landrat mit je einer Vielzahl anderer bei den Bürgern seiner Gemeinde, ein Staatsoberhaupt wieder mit einer anderen Vielzahl. Dies ist zwar eine triviale Erkenntnis, führt aber nicht-trivial zu der Notwendigkeit eines permanenten Aushandelns eines mehrheitsfähigen Umgangs mit dem jeweiligen Thema. Dort, wo ein solches Aushandeln [vermeintlich] unmöglich erscheint, entstehen Ärgernisse, Konflikte, Rosenkriege oder echte Kriege – oder aber, man bringt die Energie auf, sich die Werte-Meme der oder desjenigen Partners genauer anzuschauen, mit dem der Aushandlungsprozess als ressourcenaufwendiger vermutet wird. [Anmerkung: Dies alleine genommen reicht zwar nicht aus, denn nach integraltheoretischer Sicht gilt es auch die Quadranten, Entwicklungslinien, Typen und Zustände in den Blick zu nehmen. Aber immerhin ein erster Schritt wäre es, will man drohende Eskalationen zumindest einzudämmen versuchen.]

Ich selbst suche mir immer wieder hinreichend komplexe Fragestellungen aus, um mich in den einzelnen Facetten der Integralen Theorie zu üben. Beispiel: Ich lege mir die Frage vor, wie die  Wertesysteme der 27 EU-Staaten derzeit formuliert sind und welche Rückschlüsse aus der Zusammenschau gezogen werden könnten.

In einem ersten Schritt dazu nutze ich die KI mittels ChatGPT, um mir länderspezifisch die wesentlichen Werteebenen zu ermitteln, die derzeit als Arbeitsbasis der jeweiligen Verfassungsorgane formuliert sind und die – ceteris paribus – die Zustimmung der jeweiligen Bevölkerungen entlang ihrer bisherigen Wahlentscheidungen erfahren haben. Inwieweit die Ausführungen der KI valide sind, wäre zu überprüfen, ebenso die jeweilige staatliche Interpretation sowie das kulturell geprägte Begriffsverständnis. Zudem ist zu betonen, dass die folgenden Ableitungen sich ohnehin auf formulierte politische Einstellungen und Wertekontexte beziehen, die sich im Laufe der Zeit ändern und von Regierung zu Regierung unterschiedlich interpretiert werden können. Auch kann die Bevölkerung mehrheitlich aus aktuellen Anlässen heraus andere Werte in den Handlungen ihrer Regierung stärker in Erwartung bringen.

Die Werte sortiere ich anschließend in die bereits beschriebenen Werteebenen und kann so jedes Land mit einer Art ‚Werte-Meme-Flagge‘ versehen. Dabei berücksichtige die von der KI ausgegebenen Erklärsätze, die dazu führen, dass ein identisch formulierter Wertebereich wie zum Beispiel: Europäische Zusammenarbeit unterschiedlich eingefärbt wird, wenn der Erklärsatz darauf hinweist, dass der Staat sich bereits aktiv nach diesen Werten handelt oder wenn er erst danach strebt, dies zu tun. An einigen Stellen wäre es womöglich angemessener, den jeweiligen Begriff in zwei Farben darzustellen, der Einfachheit halber verzichte ich aber auf eine weitere Differenzierung.

Ergänzend stelle ich einen Zuordnungsvorschlag für soziale Organisationsformen den folgenden landesspezifischen Informationen voran:

  • Beige: Horde
  • Purpur: Stammesorganisation
  • Purpur im Übergang zu Rot: [Patriarchalische] Gesellschaftsordnung, bei [meist] der Mann eine bevorzugte Stellung in Staat und Familie innehat und bei der in Erbfolge und sozialer Stellung die männliche Linie ausschlaggebend ist. Absolutismus, bei der eine einzelne Person [meist Monarch] vollständig über die souveräne Ausübung aller Staatsgewalt verfügt.
  • Rot: Diktatur als Regierungsform, in der ein Diktator die volle Macht hat.
  • Rot im Übergang zu Blau: Autokratie als Regierungssystem, in dem die oberste Macht in den Händen einer Person liegt, deren Entscheidungen keinen rechtlichen Beschränkungen unterliegen.
  • Blau: Zentralstaat – Bürokratie – Regelbasierte Hierarchie – Planwirtschaft
  • Blau im Übergang zu Orange: Repräsentative Demokratie bei bestehender Staatssouveränität
  • Orange: Demokratie als Staatsverfassung, in der die Herrschaft bzw. die Machtausübung auf der Grundlage politischer Freiheit und Gleichheit sowie weitreichender politischer Beteiligungsrechte erwachsener Staatsbürger erfolgt. Marktwirtschaft. Leistungsbasierte Hierarchie
  • Orange im Übergang zu Grün: Soziale Demokratie, gemeinwohlorientierte Leistungsgesellschaft
  • Grün: Sozialstaat mit finanzieller und sozialer Unterstützung der Bevölkerung zum Ausgleich von  Ungerechtigkeiten zwischen Bevölkerungsschichten.

Nun zu den Staaten der EU [Stand Sommer 2023] in alphabetischer Reihenfolge:

Die Werte des belgischen Staates:

  • Demokratie: Belgien ist eine parlamentarische Demokratie, in der die Macht auf verschiedenen Ebenen (national, regional und kommunal) durch Wahlen und politische Partizipation vom Volk ausgeht.
  • Pluralismus und Toleranz: Belgien ist ein multikulturelles und mehrsprachiges Land mit einer reichen Vielfalt an Kulturen und Traditionen. Pluralismus und Toleranz sind wichtige Werte, die das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Gemeinschaften fördern sollen.
  • Menschenrechte: Belgien steht für die Achtung der Menschenrechte und verfolgt das Ziel, die grundlegenden Freiheiten und Rechte seiner Bürger zu schützen und zu fördern.
  • Sozialer Wohlfahrtsstaat: Belgien verfolgt eine Politik des sozialen Wohlfahrtsstaates, um das Wohlergehen seiner Bürger zu gewährleisten und soziale Sicherheit zu bieten.
  • Europäische Zusammenarbeit: Belgien ist ein aktives Mitglied der Europäischen Union und engagiert sich für die Idee der europäischen Integration und Zusammenarbeit
  • Rechtsstaatlichkeit: Belgien legt großen Wert auf die Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Justiz und die Einhaltung der Gesetze.

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2023 – neu: 7. Farbenlehre der Meme

Clare W. Graves beschreibt in seiner Theorie der menschlichen Bewusstseinsentwicklung einen Prozess der Vergrößerung von Verhaltens- und Handlungsräumen zum Zwecke der Bewältigung komplexer werdender Themenstellungen. Graves nimmt dazu in seinem werteevolutionären Ansatz an, dass jeder Mensch durch verschiedene Stadien der Bewusstseinsentwicklung geht, wobei jede entwickelte Ebene [Meme-Ebene] durch ein spezifisches Set an Grundüberzeugungen, Werten, Einstellungen und Haltungen repräsentiert wird. In der Integralen Theorie von Ken Wilber wird dieser theoretische Hintergrund weiter vergrößert, in dem eine Entwicklungsebene nicht mehr für sich alleine genommen betrachtet, sondern beispielsweise in den Kontext einer Entwicklungslinie [und – siehe die bereits im letzten Post empfohlene Videoreihe zur Integralen Theorie – weiterer Aspekte menschlicher Entwicklung] gestellt wird. Das führt dazu, dass ein Mensch auf jeder seiner Entwicklungslinien unterschiedliche Entwicklungsebenen erreicht haben kann, was sich dann letztlich je nach gegenwärtiger Situationskonstellation in deutlichen Unterschieden im Verhalten oder Handeln zeigt.

Exkurs: Für sich genommen stellt dies womöglich noch keine umwerfend neue Erkenntnis dar, weiß doch schon jeder Kölner, dass ‚jeder Jeck anders ist‘ und die Ausweitung in ‚jeder Jeck kann in jeder Situation anders jeck sein‘ zumindest dort auch Zustimmung erfahren dürfte. Mein eigenes Forschungsinteresse besteht im Kontext der Individuellen Krisenprävention eher in einer Gegenthese: Es gibt trotz aller vielschichtigen selbstgesteuerten oder aufgenötigten Entwicklungsprozesse bei einem Menschen ein Set an Werten, das allen Situationen trotzt und sich als nicht deformierbares System ‚wesentlicher Werte‘ im Verhalten explorieren lässt. Und weiter: Kann ein Mensch als Ergebnis einer individuellen Werteanalyse ein solches Set bestätigen, ermöglicht er sich damit, Maßnahmen zur Prävention des Angriffs auf diese wesentlichen Werte einzuleiten. In einer Kurzformel: Die Klärung wesentlicher Werte ist die Basis individueller Krisenprävention [auf den Unterschied von Werten, wichtigen Werten und wesentlichen Werten habe ich in früheren Beiträgen im Kontext der sinnzentrierten Psychotherapie nach Viktor Frankl bereits hingewiesen. Sie finden diese Beiträge im Archiv auf dieser Webseite].

Zurück zum Graves Value System, den Entwicklungsebenen und den mit ihnen verbundenen Möglichkeiten individueller und kollektiver Wertereflexion. Das in der psychologischen Literatur derzeit am häufigsten beschriebene Meme-Modell von Graves beschreibt acht Ebenen menschlicher Entwicklung. Für eine schnellere Unterscheidung dieser Ebenen werden Farben einsetzt. Sie sehen sie unten in den kleinen Rauten zu Beginn neuer Textpassagen. 

Zu Beginn der Vorstellung soll betont werden, dass keine Meme-Ebene per se ‚besser‘ oder ’schlechter‘ als eine andere ist. Vielmehr soll der Aspekt in den Vordergrund rücken, dass es stets situativ eine passende Gegenwarts-Bewusstheit [ein passendes Werte-Meme] braucht, ergo es bei einer Abfolge unterschiedlicher, zu bewältigender Situationen auch unterschiedlich angemessener Meme-Ebenen bedarf. Nun aber zu den acht Ebenen in einer ersten Übersicht:

Das Beige-Meme ist die erste Ebene im Graves Value System. Als „Überlebensmeme“ geht es hauptsächlich um die Bewältigung des Themas ‚Befriedigung der Grundbedürfnisse wie zum Beispiel Nahrung, Schlaf, Wärme, Sex‘. Neben Neugeborenen zeigen auch Menschen unter Drogeneinfluss ein mit diesem Meme verbundenes reflex- und instinktgesteuertes Verhalten. Der Rahmen individueller Fähigkeiten, auf ihre Umwelt zu reagieren ist deutlich begrenzt, es wird im Hier und Jetzt gelebt. Im archaisch-urzeitlichen Beige-Meme gibt es noch kein Konzept von moralischen Werten oder sozialen Normen.  

In unserer modernen Gesellschaft ist ein erwachsenes Verhalten und Handeln im Beige-Meme meist nur in existenziellen Krisen zu beobachten, wenn die Verwirklichung von Werten höher entwickelter Ebenen als nicht (mehr) möglich erscheint. Global betrachtet werden aber viele Menschen und Gemeinschaften durch die sie gefährdenden Rahmenbedingungen genötigt, ihr Verhalten und Handeln in diesem Meme zu zeigen. Wenn Menschen mit traumatischen Ereignissen konfrontiert werden, wie z.B. Naturkatastrophen, Krieg oder Hunger, dann werden sie auf ihre Bewusstheit, grundlegendste Überlebensbedürfnisse befriedigen zu müssen, zurückgeworfen. Ihre Verhaltensweisen werden dabei von tief verwurzelten Instinkten und Gewohnheiten bestimmt und sind eher spontan. Im urzeitlich Kontext ist dieses Meme mit Begriffen wie Sammeln und Jagen, klimabedingte Migration oder Bildung schützender und unterstützender Horden verbunden.

Ohne Entwicklungsperspektive und dem Verharren im Beige-Meme zeigen sich negative Auswirkungen darin, dass Menschen sich in ständiger Angst vor Bedrohungen befinden und sich auf ichbezogene Überlebensstrategien konzentrieren, ohne sich am Aufbau sozialer Strukturen oder höherer Werte zu beteiligen.  

Das Purpur-Meme ist die zweite Bewusstheits-Ebene im Graves Value System. Auf ihr entsteht erstmals ein Wir-Bezug und eine Bewusstheit für den Wert einer Gemeinschaft. Die Suche nach einem gemeinsamen Daseins-Zweck und einer verbindenden Identität wird gestärkt durch den Glauben an Symbole, Rituale und Übernatürliches. Das Streben nach Harmonie mit den Kräften der Natur und erste Formen einer Kulturentwicklung – zum Beispiel Musik, Tanz oder erzählende Überlieferung – sind Merkmale dieses Meme. Ein starkes Bedürfnis nach Gemeinschaft, Zusammenhalt, Sicherheit und Geborgenheit in der Gruppe und ihre Befriedigung mittels zeremonieller Handlungen sowie ihre Empfänglichkeit für magische Momente zeigt sich auch heute unter anderem bei religiösen Gemeinschaften. Mit einer intensiven emotionalen Verbundenheit mit ihrer Gemeinschaft, die ohne institutionelle Klammer auskommt, betrachten Menschen im Purpur-Meme die Welt als ein geheimnisvolles und oft unerklärliches Universum, in dem alles miteinander verbunden ist.

Obwohl das Purpur-Meme auf den ersten Blick als naiv oder dem Kleinkindalter entsprechend erscheinen kann, ist es von großer Bedeutung in der menschlichen Entwicklung. Auf dieser Ebene steht das Lernen durch Nachahmung und damit ein tiefes Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit in einer Gruppe im Vordergrund.

In unserer modernen Gesellschaft ist ein erwachsenes Verhalten und Handeln im Purpur-Meme oft im Thema ‚dazugehören wollen‘ zu beobachten. Familiär geprägte Organisationen, Stammeskulturen, Cliquen und Clans werden als Orte der Sicherheit empfunden, und die Anpassungsfähigkeit an das Gruppenverhalten gilt als notwendige Bedingung dafür, nicht in die Angst zu verfallen, aus der Gemeinschaft ausgestoßen zu werden. Loyalität gegenüber Ältesten und die Tradition der Gruppenkultur werden gepflegt; Kinder werden als Alterssicherheit angesehen. 

Wenn Menschen mit Bindungs- und Vertrauensverlusten konfrontiert werden, wie dies z.B. bei der Scheidung der Bezugspersonen in der frühen Kindheit oder bei der Trennung von der Gemeinschaft durch Umzug entstehen kann, so werden die Werte dieses Meme verletzt. Ohne Entwicklungsperspektive und dem Verharren im Purpur-Meme zeigen sich negative Auswirkungen dann zuweilen darin, dass Menschen irrationalem Glauben, magischen Praktiken oder Sektierertum verfallen.

Eigene Bedürfnisse nach Individualität zeigen sich im Graves Value System erstmals im Rot-Meme. Verhalten sich Menschen bei spezifischen Themen entlang dieses Werte-Meme, so zeigen sie ihr Bedürfnis nach Macht, Kontrolle und Dominanz an. Für Bedürfnisse anderer bringen sie in diesen Kontexten ein eher geringes Verständnis auf. Sie glauben an die Stärke und Überlegenheit des Individuums gegenüber der Gruppe und lehnen Autorität und Kontrolle ab, wenn sie nicht zu ihrem eigenen Vorteil sind.

Einen Vorgeschmack auf dieses Meme zeigen Kinder in der pubertären Trotzphase, wenn sie mit Einschüchterung und Kraft anderen ihren egozentrierten Willen aufzudrücken versuchen. Auch eine Tendenz zur [subtilen, manipulativen, kommunikativen oder physischen] Gewalt und Aggression ist möglich, wenn es darum geht, persönliche Ziele zu erreichen. Die ‚Siegen-wollen-Mentalität‘ steht dabei im Einklang mit einem Weltbild, das den Kampf um Ressourcen und Macht als erforderlich ansieht, das auf Omnipotenz oder gar Unsterblichkeit setzt und in dem Kritik von Außen als persönlicher Angriff und Beleidigung angesehen wird. Ein weiteres Merkmal des Rot-Memes ist ein impulsives, ‚aus-dem-Bauch-heraus-Handeln‘, ohne Rücksicht auf Konsequenzen oder die Bedürfnisse anderer. Eine sofortige Bedürfnisbefriedigung wird ungeduldig  angestrebt und die kleine oder große Welt ist dafür die Plattform, auf der Macht und Willenskraft demonstriert wird.  

In unserer modernen Gesellschaft ist das ichzentrierte Rot-Meme durchaus präsent. Meist negativ konnotiert, wenn es sich im Kontext von Feudalherrschaften, dem Drang zum Erhalt von Imperien, Heldenverehrung kriegerischer Eroberungen, Gewalt in der Familie, Korruption usw. zeigt. Als positiv wird das Rot-Meme erlebt, wenn es um die persönliche Entschlusskraft geht, in passenden Situationen direktive Anweisungen mit Energie und Verve mitzuteilen oder wenn gegen Widerstände aus dem Umfeld der Wille für eigene Entdeckungen und Kompetenzaufbau aufrecht erhalten bleibt oder auch, wenn sich keine anderen Wege aufzeigen, gegen Unterdrückung oder Ohnmacht aufzubegehren.

Wenngleich das Rot-Meme auf den ersten Blick als egoistisch und unmoralisch erscheinen kann, ist es von großer Bedeutung in der menschlichen Entwicklung. Auf dieser Ebene wird das Bedürfnis nach Herrschaft und Selbstbestimmung erkannt und geschätzt. Es betont die Bedeutung von Autonomie und Selbstbestimmung und schafft damit eine Grundlage für persönliches Wachstum und Selbstverwirklichung. 

Wenn Menschen mit der Abwertung ihres Platzes und ihres Status in der Gesellschaft konfrontiert werden, so werden die Werte dieses Meme verletzt. Ohne Entwicklungsperspektive und dem Verharren im Rot-Meme zeigen sich negative Auswirkungen dann zuweilen darin, dass Menschen dazu neigen, situativ ihre Selbstsucht auf Kosten anderer auszuleben, Machtmissbrauch oder Rache auszuüben oder einen Hang zum Narzissmus zu entwickeln.

Das Blaue-Meme ist die vierte Entwicklungsebene im Graves Value System. Nach der Fokussierung auf beige Grundbedürfnisse, purpurne Gemeinschaft und rote Machtbewussheit geht es hier um die Schaffung von Ordnung, Stabilität und Sicherheit durch Einhaltung von Gesetzen, Regeln, Vorschriften und Strukturen. Institutionen versprechen mit ihren Hierarchien Sicherheit in einer unberechenbaren Welt. Die Bewusstheit, dass für bestimmte Themen ein Schema wie Autorität, Gehorsamkeit, Disziplin, Moral oder auch Konvention und die Bewahrung ethischer Standards passend ist, verweist auf ein geringes Verständnis für Nuancen und Abweichungen. Die situative blaue Bewusstheit neigt zu einem Schwarz-Weiß-Bewertungsmuster, zu einer strengen Auslegung von Überzeugungen und kulturellen Normen.

Menschen mit entwickeltem Blau-Meme schätzen situativ die Ausrichtung an Tugenden, Sitten und aus ihrer Sicht moralischen Standards. Gradlinigkeit, Berechenbarkeit, Pflichtbewusstsein wird hoher Stellenwert beigemessen. Der Preis dafür kann sich in einer schnellen Polarisierung in gut-böse, richtig-falsch usw. zeigen, man bleibt unter sich und seinesgleichen, folgt Gesinnungsautoritäten, hält quasi-ideologisch an ewig Gültigem fest oder schwört Treue bis zum Schluss. 

In unserer modernen Gesellschaft ist das wir-orientierte Blau-Meme dort präsent, wo Stabilität und Ordnung wichtiger sind als individuelle Freiheit und Kreativität. Politische, militärische, administrative und religiöse Institutionen sind oft blau geprägt. Die Einhaltung von Regeln und Vorschriften gilt dort als entscheidend für die Sicherheit der Gemeinschaft. Beim Einsatz einer blauen Bewusstheit wird auf hierarchische Systeme wie Kasten, Klassen oder Rassen rekurriert und sprachlich zeigen sich allerlei Grundüberzeugungen in Form von -ismen. Auch die Bereitschaft, sich für jemanden oder etwas zu opfern, um dafür später eine Belohnung zu erlangen, ist ein beobachtbarer Aspekt des Blau-Meme.

Wenn Menschen mit einer Diskreditierung der von ihnen geschätzten Strukturen, Ordnungen oder Regeln konfrontiert werden, so werden die Werte dieses Meme verletzt. Ohne Entwicklungsperspektive und dem Verharren im Blau-Meme zeigen sich negative Auswirkungen dann zuweilen darin, dass Menschen dazu neigen, andere selbstgerecht zu behandeln oder diejenigen zu unterdrücken, die nicht in ihr Weltbild passen. Sie können auch dazu tendieren, auf starre und kreative Problemlösungen erstickende Regeln und Normen zu setzen, anstatt – sofern entwickelt – auf ihr eigenes Urteilsvermögen und ihre eigene Intuition zu vertrauen.

Auf der nächsten Werte-Ebene beschreibt Clare W. Graves eine Weltanschauung, die sich auf die Überwindung von Einschränkungen und die Maximierung des Erfolgs konzentriert. Das dabei eingesetzte Orange-Meme können wir auch das Meme der Leistung und des Wettbewerbs nennen. Menschen, die situativ dieses Gegenwarts-Bewusstheit in ihrem Verhalten präferiert zeigen, folgen ihrem Bedürfnis nach Verwirklichung von Werten und Motiven wie Fortschritt, Innovation, Leistung, Zielerreichung und Aufstieg. Eine starke Ausrichtung auf autonome Selbstverwirklichung, individuelles Wachstum und persönliche Entwicklung ist dann beobachtbar. Mit einer Tendenz zur Rationalität und Effizienz wird die Welt als eine Maschine angesehen, die optimiert werden kann, um maximale Ergebnisse zu erzielen. Zum Gelingen wird dabei auf wissenschaftliche Methoden und Analysen gesetzt, die als zweckdienlich für das Lösen komplexer Probleme angesehen werden.

In einer Gesellschaft ist das ich-zentrierte Orange-Meme dort weit verbreitet, wo messbarer Erfolg und das Ringen um Anteile an zu verteilenden Ressourcen eine wichtige Rolle spielen. In diesem Kontext neigt diese Ebene zu einer elitären Haltung, die Wachstum und Expansion heilig spricht und in der Loyalität auf Nützlichkeitsüberlegungen beruht. Als Ergebnis der Werteverwirklichung auf Orange locken Glück, Konsummöglichkeiten und Vergnügen.

Eine starke Kritik wird gegen dieses Meme laut, wenn die ihm zueigenen Verhaltens-/Handlungsweisen als reines Eigeninteresse an Status, Rang, Prestige, Profit oder auf Kosten anderer gehend empfunden werden. Der stark auf kurzfristige Ergebnisse fokussierte faktenbasierte Pragmatismus bei Entscheidungen im Orange-Meme wird zuweilen einerseits als bewundernswerter Handlungswille gewürdigt. Werden jedoch Manipulationen der Handelnden an der Natur, an Zahlenwerken, an menschlicher Integrität und Würde oder als Angriff gegen ein bestehendes Gerechtigkeitsgefühl von anderen Menschen wahrgenommen, so folgen auf der anderen Seite meist Einwände hinsichtlich der Auswüchse von Kapitalismus, Materialismus oder Individualismus.

Wenn Menschen mit der Abwertung ihrer Qualifizierung und ihres Erfolgswillens in der Gesellschaft konfrontiert werden, so werden die Werte dieses Meme verletzt. Ohne Entwicklungsperspektive und dem Verharren im Orange-Meme zeigen sich negative Auswirkungen dann zuweilen darin, dass Menschen dazu neigen, situativ ihre ‚Ellenbogen-Verdrängung‘ als taktisches Mittel zur Verteidigung zum Beispiel ihrer erreichten Karrierestufe auszuleben, selbstgefährdende Arbeitsüberlastungen einzuleiten oder zuzulassen oder einen Hang zu einem der zahlreichen Facetten eines Suchtverhaltens zu entwickeln.

Das Orange-Meme zeigt, dass die menschliche Entwicklung nicht auf der Ebene der Gemeinschaft und Stabilität stagnieren muss, sondern dass wir in der Lage sind, uns auf individueller Ebene weiterzuentwickeln und persönliche Erfolge zu erzielen. Wie bei allen anderen Meme auch, zeigt sich die individuelle oder kollektive menschliche Entwicklung in Form einer Reise, bei der jede erreichte Ebene auf den vorherigen aufbaut. [Anmerkung: Auch das Beige-Meme, das ich als  Überlebens-Meme vorstellte und das unter anderem die Gegenwarts-Bewusstheit des Neugeborenen beschreiben hilft, hat entsprechende Vorläufer. Beim Neugeborenen sind es die elterlich entwickelten Bewusstheitsebenen auf der Entwicklungslinie “Rolle als Vater/Mutter‘. Je nach Meme kann die Rolle, die sich beispielsweise ein Vater zuschreibt umrissen werden als Familienmensch und Beschützer (purpur), Oberhaupt der Familie (rot), Erziehungsberechtigter und Versorger (blau), Antiautoritärer Trainer und Wissensvermittler (orange), Androgyner Gesprächspartner und Wertevermittler (grün). Es liegt nahe anzunehmen, dass eine präferierte Rollenbewusstheit als mitprägender Einfluss auf die psychische Entwicklung des Kind ab dessen Beige-Meme einwirkt.]

Mit dem Grün-Meme erreichen die Bewusstheits-Ebenen die Werte im Kontext von Menschlichkeit, Gleichheit, Kooperation, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit. Im individuellen oder kollektiven Verhalten zeigt sich ein Streben nach Harmonie, Ausgleich in Beziehungen und in der Gesellschaft als Ganzes, eine starke Betonung von Toleranz und Akzeptanz gegenüber unterschiedlichen Lebensstilen und Meinungen sowie eine auf Diversität und Inklusion achtende Grundhaltung. Dass jeder Mensch gleiche Rechte und Chancen haben sollte, führt im Grün-Meme zur Verhaltenstendenz, die persönliche Entwicklung mit sozialen Verantwortlichkeiten zu verbinden. Menschen auf dieser Stufe suchen nach einem sozialen Zweck in ihrem Leben und engagieren sich entsprechend.

In vielen modernen Gesellschaften zeigt sich das wir-orientierte Grün-Meme insbesondere bei Einzelpersonen, Gruppen, Institutionen und Organisationen, die einen Schwerpunkt ihres Engagements den vielen Brennpunkten widmen, die im Kontext der Kritik an einer zu starken Leistungsgesellschaft (orange) entstehen und sich in den Themen wie Armutsbekämpfung, Bildungsgerechtigkeit, Fairness gegenüber Minderheiten, Chancenfeldern für Migranten, gerechtere Ressourcenverteilung, Weltgesundheit und vielen mehr zeigen.

Das Grün-Meme wird so als Gesellschaftsbild vorgestellt, in dem ein dogmatisches Klammern an vorausgegangenen Bewusstheits-Ebenen abgelöst wird durch einen pluralistischen und relativistischen Zugang zur Welt. Dieser Zugang ist verbunden mit zahlreichen Forderungen zum Beispiel an eine neue political/people/social/communicative/…- correctness, an eine konsensuale Streitkultur, tragfähigere Strukturen für soziale Teilhabe, Infragestellung unbegrenzter Wachstumsphantasien, Nivellierung einst diskriminierender Rollen und Klassenunterschieden, Dezentralisierung von Entscheidungsstrukturen oder dem Lebenswohl für alle Lebewesen.

Kritiker des Grün-Meme argumentieren, dass die Betonung von Gleichheit und Zusammenarbeit auf Kosten individueller Freiheiten und persönlicher Leistung gehen kann. Konstruktiv wird dabei betont, es sei lohnend, ein Gleichgewicht zwischen diesen Werteebenen zu finden und sicherzustellen, dass alle Stimmen gehört und berücksichtigt werden. Destruktiv wird dieses Meme als Zeitgeist-Phantasma etikettiert, das nicht in der Lage sei, sich den globalen Weltkonflikten schnell und wirkungsvoll entgegenzustellen.

Wenn Menschen mit der Abwertung ihrer gemeinwohlorientierten Verantwortungsbereitschaft konfrontiert werden, so werden die Werte dieses Meme verletzt. Ohne Entwicklungsperspektive und dem Verharren im Grün-Meme zeigen sich negative Auswirkungen dann zuweilen darin, dass Menschen dazu neigen, situativ ihre weisheitsbeanspruchende Selbstgefälligkeit regelbrechend auf Kosten anderer auszuleben oder spezifische Formen einer Gesinnungsethik durchsetzen zu wollen. Aber auch das Phänomen, Konflikte zu vermeiden und Entscheidungsprozesse auf Kosten der Effektivität und Leistungsfähigkeit zugunsten einer Gruppenidentität zu entschleunigen, zeigt sich situativ.

Insgesamt verweist das Grün-Meme darauf, dass menschliche Entwicklung nicht auf der Ebene der individuellen Leistung stagnieren muss, sondern dass wir als Gesellschaft in der Lage sind, uns auf sozial verantwortungsvolle Weise weiterzuentwickeln.  

Mit den nächsten Werte-Ebenen, beginnend mit dem Gelb-Meme, öffnet sich ein neuer Raum der Weltbetrachtung. Ein Raum, der sukzessive immer mehr systemische, holistische und kosmische Aspekte für die Bewältigung komplexer überindividueller Themenstellungen vorhält und auf den sich nur unpassende Antworten in den Meme bis einschließlich Grün finden lassen.

Das erste dieser Ebenen ist das Gelb-Meme, das oft als Stufe der Integration und des Systemdenkens bezeichnet wird. Es repräsentiert eine komplexe und integrative Sichtweise auf die Welt, bei der Menschen die Welt als ein System betrachten, in dem alles miteinander verbunden ist [also auch alle Werte-Ebenen bis einschließlich Grün] und wo es erforderlich ist, verschiedene Perspektiven und Weltanschauungen zu integrieren und zu verstehen, ohne sich auf eine bestimmte Sichtweise festzulegen. Mit dieser umsichtigen Haltung des Einschließens aller Zugänge zur Lösung komplexer Probleme leistet das Gelb-Meme einen Beitrag zu einer mentalbarrierefreieren Kommunikation.

Dem Gelb-Meme liegt es an sich fern, andere Werte-Ebenen abzuwerten, vielmehr können Menschen in Situationen, die dieses Meme erfordern, mehrere Standpunkte einnehmen und gleichzeitig aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten [eine Fähigkeit, die jedoch häufig bei Menschen, die das Gelbe-Meme noch nicht integriert haben, Irritationen hervorruft, weil sich diese Menschen womöglich einen festen Standpunkt, eine klare Ansage oder eine schnelle Lösung erhoffen, zu denen Gelb entlang ihrer Entwicklungsgeschichte eine gewisse Distanz aufgebaut haben]. Die Verhaltens- und Handlungsweisen des Gelb-Meme wirken integrierend und sind befreit von Erwartungen anderer und von Bindungen aus der Vergangenheit. Das Bedürfnis nach öffentlicher Anerkennung ist gering, das nach Wissen, Flexibilität und Kompetenzentwicklung hat Vorrang vor Macht, Status oder Gruppenempfindlichkeiten. 

Obwohl das Gelb-Meme ein Menschenbild adressiert, das den Menschen so nimmt wie er werden könnte und die Wege, wie er wurde, der er ist, lediglich als Grundlage dafür ansieht, gibt es auch Kritik an dieser Ebene. So wird argumentiert, dass die Betonung systemischeren Denkens zu einem Mangel an Akzeptanz früher entwickelter Werte führen kann oder dass Entscheidungen, die situativ mit dem Gelb-Meme getroffen werden, Menschen nicht dort abholen, wo sie stehen. Bei dieser Kritik wird jedoch womöglich übersehen, dass es zur Entwicklung des Gelb-Memes oft genug die Konfrontation mit Themen bis ‚grün‘ gab und dass Menschen, die diese Bewusstseinsentwicklung zu Gelb vollzogen haben, auf authentische Beispielgeber in ihrer Biografie verweisen können, durch deren gelber Weltanschauung eine positive Wirkung auf gesellschaftlich hochkomplexe Themenstellungen beobachtbar war.

Zudem muss einem Menschen, der sich hin zu Gelb entwickelt bewusst sein, dass sich der kommunikative Zugang zu vielen Menschen alleine deshalb erschweren kann, weil diese in ihrem Alltag mit Themenstellungen konfrontiert werden, die diese Werte-Ebene nicht benötigen. Der Preis, den Menschen mit einem entwickelten Gelb-Meme dann zuweilen zu zahlen haben, ist eine Art intellektueller Verarmung. ‚Stell Dir vor, die Probleme werden hochkomplex und keiner denkt der Situation angemessen mit‘ – wer sich in einem solchen Umfeld wahrnimmt, muss lernen, auf psychischer Ebene mit Entfremdungsgefühlen umzugehen. Demgegenüber steht im Gelb-Meme ein hohes Maß an Reflexion und Wertebewusstsein, das dabei hilft, eigene Grenzen und die Wirkung eigener Überzeugungen zu erkennen und zu akzeptieren. Die Einstellung, Wissen in den Kontext eines unendlichen Prozesses zu stellen und als Konsequenz davon Bildung als kontinuierlichen Prozess lebenslangen Lernens anzusehen, kann konstruktiv zu einer Blickfelderweiterung führen, die das Finden von Lösungen an für viele andere Menschen unerwarteten Stellen ermöglicht. Negative Auswirkungen einer unverhältnismäßigen Betonung des Gelb-Memes wären hingegen endlose Diskussionen und Reflexionen, ohne zu praktischen Lösungen zu kommen. Auch die Vernachlässigung der Bedeutung von emotionalen Aspekten und menschlichen Beziehungen werden bei Gelb zuweilen beobachtet.

Noch über dieses systemische Gelb-Meme hinaus verweist eine Verhaltens- oder Handlungsweise von Menschen, die situativ eine ganzheitliche Sicht auf die Welt einnehmen: es das im Graves Value System genannte Türkis-Meme. Menschen auf dieser Werte-Ebene haben ein wirkliches Verständnis davon, dass alle Dinge in einem größeren Kontext miteinander dynamisch verbunden sind und dass ihre Handlungen und Entscheidungen die Welt um sie herum ebenso dynamisch beeinflussen.

Eine wichtige Eigenschaft des Türkis-Meme ist die Fähigkeit, Paradigmenwechsel voranzutreiben. Menschen auf dieser Stufe sind in der Lage, neue Ideen und Konzepte zu entwickeln, die grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft bewirken können. Sie haben ein tiefes Verständnis dafür, dass allgesellschaftlich komplexe Probleme nur durch ganzheitliche und integrative Ansätze gelöst werden können. In meinem Verständnis wäre eine Rolle im türkisen Meme die eines Gesellschaftscoachs, und in meiner Hoffnung entspräche diese Meme-Bewusstheit auf politischer Ebene die eines Bundespräsidenten, der seinen Beitrag dafür leisten will, die Gesamtgesellschaft  auszurichten auf Themen, die zeitlich weit über das Leben aller hinausreicht, die aktuell Bürger des Staates sind.

Das Türkis-Meme wird zwar oft mit spirituellen Traditionen und östlichen Philosophien in Verbindung gebracht, da es eine starke Betonung auf Achtsamkeit, Mitgefühl und das Streben nach höheren Bewusstseinszuständen hat. Diese Erklärung greift jedoch zu kurz, denn anderen Meme-Ebenen eben diese menschlichen Qualitäten indirekt abzusprechen, ist mit der tiefen Gelassenheit, mit der im Türkis-Meme auf das Wohl aller Menschen und des Planeten geschaut wird, nicht vereinbar. Vielleicht ist es angemessener, dieser Werte-Ebene die Form eines holistischen Weisheitsvertrauens zuzuschreiben, das den Gedanken, dass jedwedem Problem eine Lösung – wo und wann auch immer – gegenübersteht, mit dem Willen integriert, Hindernisse, die das Finden dieser Lösungen erschweren, mit Besonnenheit und Demut zu identifizieren und zu kommunizieren. Eine günstige Konkretisierung auf Verhaltens- oder Handlungsebene erfährt das Türkis-Meme in konsensbasierten und allfriedensorientierten Kooperationen mit Selbstorganisation und Selbstregulierung innerhalb der Gesellschaft. Dem Blick auf die Welt als eine unteilbare Einheit wird eine gesamtweltliche Suche nach geistig sinnvollen Wegen für die drängenden Probleme, für wen, wo und wie sie sich auch immer zeigen, zur Seite gestellt. Gelingt der Transfer des Türkis-Meme in praktisches Handeln nicht, so zeigt sich womöglich eine Art Elfenbeinturm-Transzendenz, die mehr Welt-Distanzierung zum Ausdruck bringt als die der an sich dem Meme inhärenten Liebe zu tiefer Integration aller Perspektiven im Kontext der jeweiligen Themenstellung.

Eher noch im Forschungsfeld der Bewusstseinspsychologie und daher hier nur minimal skizziert findet sich das Korall-Meme im Graves Value System. Auch dieses Meme ist geprägt von einem tiefen Verständnis der Einheit und Verbundenheit aller Dinge, doch zeigen Menschen, die Themen mit dieser Werte-Ebene adressieren, in ihrem Verhalten oder in ihren Handlungen einen kristallinen Glauben an das kosmische Mysterium und die Existenz von Meta-Ebenen des Bewusstseins.